Kategorie: Podcast

  • 109-Mozart, Brahms und Fauré

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    Pierre Boulez ist 90!
    Frühlingspause der Feuilletöne im April
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    Neue Folge des Klangspektrums

    Gehört – Requiem Special
    Ein Requiem ist (war) erst einmal nichts anderes als eine Messe für Verstorbene. Sie wurde mit gregorianischen Gesängen unterlegt. Im Laufe der musikalischen Entwicklung des Requiems löste es sich immer mehr vom kirchlichen Kontext und wandelte sich zu einer eigenen musikalischen Form, die z. T. auch komplett ohne klerikalen Kontext auskommt. Da es hier Chor, Solostimmen und Orchester gibt, können Komponisten hier so richtig zeigen, was sie können. Wir wollen die Entwicklung von der musikalischen Untermalung einer Totenmesse bis zur endgültigen Befreiung vom kirchlichen Kontext aufzeigen. Drei Teile, welche in loser Reihenfolge aufeinander folgen werden, sollen diese Entwicklung aufzeigen. Dieser Teil behandelt die Zeit, in der sich Komponisten langsam über die Vorgaben der Kirche hinweg setzen.

    Wolfgang Amadeus Mozart Requiem d-Moll KV 626
    – Harnoncourt/Concentus Musicus Wien (Homepage)/Schönberg Chor (Homepage) (Spotify)

    Das Requiem stammt aus dem Jahr 1791 und war Mozarts letzte Komposition. Obwohl es wohl nur zu ca. zwei Dritteln von Mozart stammt, ist es eines der beliebtesten Requien und eines der Werke von Mozart, welche am meisten geschätzt werden. Mozart starb während der Komposition und konnte es somit naturgemäß nicht zu Ende bringen. Da das Ehepaar Mozart bereits seit Jahren in finanzieller Not war, beschloss die Witwe Constanze Mozart Joseph von Eybler und Franz Xaver Süßmayr, beides Schüler von Mozart, zu engagieren, damit diese die Arbeiten an dem Werk abschließen mögen. Constanzes Behauptung zum Zeitpunkt von Mozarts Tod, die Arbeit sei kurz vor dem Abschluss entstanden, war mehr als optimistisch, führte aber lange zu der Annahme, Mozart hätte das Werk in seinen letzten Zügen mehr oder weniger zu Ende Komponiert. Welchen Umfang die nachträglichen Ergänzungen tatsächlich ausmachen, und was welcher Schüler wann geschrieben hat, das weiß man bis heute nicht so recht. Da Mozart während dieser Komposition starb, hatte das natürlich eine üppige Mythenbildung zu Folge. Hier ist, obwohl es sich um ein Auftragswerk handelt, die christliche Welt noch in Ordnung. Auch wenn Mozart durchaus in der Lage war sich mit Kirchenfürsten anzulegen wenn es um seine Kunst ging – der Kirche abgeneigt oder gar ungläubig war er nicht. Sein Requiem ist wohl das bekannteste und im Felde dieser drei Requien, was das Musikalische, Religiöse und Liturgische angeht, auch das konventionellste. Musikalisch ist es der Wiener Klassik zuzuordnen.

    Johannes BrahmsEin deutsches Requiem op. 45
    – Sir Roger Norrington/London Classical Players/Schütz Choir of London (Spotify)

    Ein Deutsches Requiem ist der Titel dieses Werkes von Johannes Brahms, dabei ist es gar kein Requiem. Erstens war Brahms zumindest auf dem Papier evangelisch, zweitens hält sich das Werk nicht mal ansatzweise an die Liturgie eines Requiems, geschweige denn an sonst irgendwas und drittens war er, wie er selbst sagte, bibelfester Atheist. Wie bei Fauré steht auch hier der Trost der Hinterbliebenen im Mittelpunkt. Um das zu untermauern hat  Brahms dafür Texte des Alten und Neuen Testaments der Lutherbibel und Texte, die nicht aus dem biblischen Kontext stammen, ausgewählt. Er verzichtet wie Fauré auf Gottes Zorn und das jüngste Gericht. Es sollte keine Trauermusik für die Toten, sondern Musik zum Trost für die Lebenden sein. Wenn es aber kein Requiem ist, was ist es dann? Musikalisch könnte man es als Oratorium bezeichnen, da fehlt dann aber die durchgehende Handlung, sprich die dramatische Komponente. Der Text spricht eher für eine der frühen evangelischen Motetten, da passt dann aber die Musik wieder nicht hinein. Aber was ist es dann? Antwort: Nichts. Es ist nichts. Dieses Werk entzieht sich einer Einordnung in irgendeine musikalische Gattung. Wenn man die Biographie des Herrn Brahms ein wenig kennt, und somit seinen Charakter ein wenig einzuordnen vermag, kann man sich die Freude bei Brahms hierüber vorstellen. Die ersten drei Sätze wollte man in Wien nicht spielen und so wurde das Werk an einem Karfreitag, dem 18. April 1868 im Bremer Dom St. Petri unter Leitung von Brahms aufgeführt. Hier fehlte der später hinzugefügte fünfte Satz. Mit fünftem Satz wurde das Werk am 18. Februar 1869 das erste Mal im Leipziger Gewandhaus aufgeführt. Musikalisch ist dieses Werk in der Romantik verwurzelt.

    Gabriel FauréRequiem op. 48
    – Philippe Herreweghe/Ensemble Musique Oblique (Homepage)/La Chapelle Royale (Spotify)

    Fauré respektierte und bewunderte zwar gläubige Menschen, wie er überhaupt eine sehr differenzierte Betrachtungsweise an den Tag legte, was die Dinge die ihn umgaben anging, doch er selbst war Agnostiker. Trotz alledem wurde er 1877 Chordirektor der Kirche La Madeleine in Paris. Als solcher lernte er naturgemäß das ziemlich umfangreiche Repertoire geistlicher Chormusik kennen und befand, dass ihm das alles nicht gar zu sehr zusagte. „Ich begleitete Trauergottesdienste auf der Orgel nun schon so lange! Das reichte mir allmählich! Ich wollte etwas anderes machen!“ Und so komponierte er sein Requiem 1887, welches dann am 16. Januar 1888 in La Madeleine zu einem Begräbnis das erste Mal aufgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur fünf Sätze („Introitus et Kyrie“, „Sanctus“, „Pie Jesu“, „Agnus Dei“ und „In Paradisum“) und Faurés Textauswahl legte besonderen Wert auf Ruhe und Frieden und enthielt keinen einzigen Verweis auf das Jüngste Gericht. Im Anschluss fügte Fauré noch das Offertoire und das Libera me, was schon sehr viel früher geschrieben wurde als das eigentliche Requiem, hinzu.  Diese Version wurde am 21. Januar 1893 zum ersten Mal aufgeführt, ebenfalls in La Madeleine, mit Fauré als Dirigent. Zwischen 1899 und 1900 wurde es dann von einem seiner Schüler für großes Orchester orchestriert. Diese Version wurde am 12. Juli des Jahres 1900 im Zuge der Pariser Weltaustellung aufgeführt. 1924 wurde diese Version dann auch zum Tode des Komponisten aufgeführt. Die Version, um die es hier gehen soll, ist die Version von 1893. In diesem Requiem geht es weniger um die Angst vor dem himmlischen Strafgericht, vielmehr ist es vom Trostgedanken durchdrungen. Die Musik hat fast meditativen Charakter, und ist irgendwo zwischen Romantik, Klassik, Renaissance und Moderne einzuordnen. “Es ist so sanftmütig wie ich selbst”, sagte er einst über dieses Werk.

    Das erwartet euch nach der Pause u. a.:

    – Das neue Tocotronic Album
    – Ian McEwan und Kindeswohl
    – Das neue Death Cab for Cutie Album
    – Milan Kundera und Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
    – Ólafur Arnalds und Alice Sara Ott mit dem Chopin Project
    – Franz Kafka und Blumfeld, ein älterer Junggeselle
    – Das neue Album von Chilly Gonzales

    Empfehlungen

    – Del Bel – Del Bel (Homepage) (Spotify)
    – Of Montreal Aureate Gloom (Homepage) (Spotify)
    – Augostino SteffaniNiobe, Regina Di Tebe – (Spotify)
    Hiob Gesicht Gottes von Michael Farin nach einem Text von Thomas Harlan. Gesprochen wird das Ganze von Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, am 3. April 0.05 Uhr im DRadioKultur
    Die Befristeten von Elias Cannetti 5. April 18.30 Uhr im DRadioKultur
    – Feature: Lady Day. Zum 100. Geburtstag von Billy Holiday. Das Leben der Billy Holiday. Am 7. April um 19.15 Uhr im DLF
    Party im Blitz/Die englischen Jahre von Elias Cannetti 6. April 18.30 Uhr DKultur
    Die Kontrakte des Kaufmanns. Hörspiel von Elfriede Jelinek. Am 13. April 0.05 Uhr im DKultur. Zweite Teil am 20. April um 0.05 Uhr. Dritter Teil am 27. April um 0.05 Uhr. Vierter Teil am 4. Mai um 0.05 Uhr. Fünfter Teil am 11. Mai 0.05 Uhr. Sechster Teil am 18. Mai um 0.05 Uhr
    Feature: Bigger than Hip-Hop. Vom Ghetto zum Milliardengeschäft.  26. April um 20.05 Uhr im DLF

  • 108-Neues von Gott, Afrodiziak und Marco at Work

    Neuigkeiten
    Mike Porcaro verstorben
    Am 29. März ist zum ersten Mal Piano Day \o/
    Andy Fraser ist ebenfalls tot

    Gelesen
    Funny van DannenNeues von Gott (Homepage)

    Was ist das denn? Das dürfte so ziemlich bei jedem die Reaktion sein, der die Art der Literatur die Funny van Dannen pflegt zum ersten Mal liest. Dieses Buch beinhaltet insgesamt 41 Kurzgeschichten, die skuriller zum Teil nicht sein könnten. Das der Ex-Bundeskanzler Schröder fragt, ob er im Garten zelten könne, ist noch eher eine „normaleren“ Geschichten. Es geht um einen Staubsauger, der um die Welt fliegt, um eine Staubsaugerin zu finden und sich dabei mit Steinen unterhält, um den Herbst, der von gelben Astern ausgelacht wird, das Gott Menschen einsperrt um eine Familie zu gründen. Man lernt, woher die Redewendung „über Leichen gehen“ wirklich kommt, liest über Flugzeuge, die Hans heißen und sprechen können, das die heiligen drei Könige aus Versehen in Berlin landen weil der Bordcomputer nicht richtig funktionierte. Ach ja, und Petrus muss den Himmel kurzzeitig dicht machen, weil gerade einfach zu viele Meerschweinchen da sind. Dass Gegenstände oder auch Jahreszeiten sprechen, muss wohl nicht weiter erwähnt werden. Die Geschichtchen sind selten länger als 4-5 Seiten, das heißt, man kann auch einfach mal nur eine kleine Geschichte lesen und ein paar kurze Minuten mit dem Buch verbringen. Wie schon bei Distelmeyer, spielt auch hier der musikalische Teil des Künstlers eine nicht unwichtige Rolle. Wer die Lieder von van Dannen ein wenig kennt, wird mit sich in diesen Texten schnell zurechtfinden. Die Geschichten wirken zum Teil ein wenig wie Fabeln. Desto länger man liest, desto mehr fängt man an über den vordergründigen Blödsinn an nachzudenken. Man kann das Buch aber einfach auch nur lesen und über den herrlichen Blödsinn lachen, der da verzapft wird.

    Gehört
    Mar-Khalifé (Homepage)/Schumacher (Homepage)/Tristano (Homepage) – Afrodiziak (Spotify)

    Voller Energie, neu und doch nicht unzugänglich. Drei gestandene Musiker, die alle in ihren jeweiligen musikalischen Gefilden zum besten gehören was es zur Zeit gibt, bilden also nun ein Trio. Jeder einzelne dieser drei Musiker ist dafür bekannt Genreübergreifend zu musizieren. Nun haben sich drei der interessantesten Musiker zusammen getan um neues zu schaffen. Was dabei rauskommt ist zum Teil lyrisch meditativ. Ruhige Passagen gibt’s da, die zum träumen einladen. Zum Teil ist es modern und treibend. Passagen also, die zum Tanzen einladen. Und dann gibt’s da noch die klassischen Improvisationen des Jazz, auch die kommen vor. Die laden dann immer wieder zum Staunen ein. Klassischer Jazz meets elektronische Instrumente und Arrangements, so dass man den klassischen Jazz kaum erkennen mag. Dann wiederum klassische Elemente des Jazz, wie klassisches Songwriting und Improvisationen. Hier wird der Jazz eingebettet in moderne Kompositionen, die dann Stücke ergeben, die man erstmal gar nicht im Jazz vermuten würde. Dieses Album ist sowohl was für Jazzfreunde, als auch für die die mit dieser Musik nichts anfangen können. Mal wieder ein Album welches beweist, dass der Jazz noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

    Dazu:
    Pascal Schumacher – Left Tokio Right (Homepage) (Spotify)
    Bachar Mar-Khalifé – Who’s gonna get the Ball from behind…(Homepage) (Spotify)
    Francesco Tristano – BachCage (Homepage) (Spotify)

    Gesehen
    Jophi RiesMarco at Work (Homepage)

    Ein Künstler, gespielt von Jochen Nickel, versucht in seinem Atelier ein Kunstwerk zu klöppeln, das will ihm aber partout nicht gelingen, also versucht er mit Alkohol nachzuhelfen. Das ist im großen und ganzen der Plot dieses 10 Minütigen Kurzfilmes. Hört sich langweilig an? Wäre es bestimmt auch. Wenn da nicht Jophi Ries wäre der das ganze in Bilder umgesetzt hat. Die ganze Zeit wird eine Spannung aufrechterhalten, die bis zum Ende des Filmes trägt.

    Empfehlungen
    Markus Becker – Kiev Chicago (Homepage) (Spotify)
    Jimmy Somerville – Homage (Homepage) (Spotify)
    Modest MouseStrangers to Ourselves (Homepage) (Spotify)

  • 107-Neil Gaiman, The Unthanks und Sleepy Hollow

    Neuigkeiten
    Domian hört auf.
    Terry Pratchett ist tot
    Star Wars – Episode VIII kommt am 26. Mai 2017 in die Kinos 

    Gelesen
    Neil GaimanThe Ocean at the End of the Lake

    Da möchte Neil Gaiman seiner Frau in ihrer Abwesenheit eine kleine Novelle schreiben – und was kommt heraus? Ein Roman. The Ocean at the End of the Lane handelt von einem namenlosen Mann, der zum Anlass einer Beerdigung in die Gegend zurück kommt, in der er aufgewachsen ist. Als Junge hat er hier eine gewisse Lettie Hempstock kennen gelernt, die behauptete, ihr Teich sei ein Ozean und ihm half, sich und seine Familie vor einem größenwahnsinnigen Monster aus einer anderen Welt namens Ursula Monkton zu bewahren.

    Gaiman versteht es wie kein zweiter, Märchenelemente zu gleichsam wundervollen wie verstörenden Geschichten zu schreiben und dabei durch seine vielschichtige, clevere Erzählweise den Leser tief hineinzuweben. The Ocean at the End of the Lake (zu Deutsch einfach: Der Ozean am Ende der Straße) ist eine Geschichte über den Bruch zwischen Kindheit und Erwachsensein und die Märchen, die wir uns darüber lieber erzählen als die Wahrheit, die zu vergessen wir mit der Zeit erschreckend gut meistern. Die „Monster unter dem Kinderbett“, die immer näher sind, als wir es wahr haben wollen, sind Gaimans Spezialität und mit diesem Roman legt er ein (weiteres) Meisterwerk seines Könnens vor.

    Gehört
    The UnthanksMount in the Air (Homepage) (Spotify)

    Ein wenig Jazz und viel Folk wird auf diesem Album in wundersamer Weise kombiniert. Allerdings ist man weniger auf der Sonnenseite der Musik unterwegs. Auf diesem Album geht es traurig und dunkel zu. Sollte sich doch einmal ein Dur Akkord in ein Lied verirren, lauert schon der Moll-Akkord an der nächsten Ecke, um dem Spuk des Dur ein jähes Ende zu bereiten. Textlich geht es auf diesem Album ebenfalls dunkel, tragisch, bitter und melancholisch zu. Traditionelle Geschichten vermischt mit traditionellen Gesang und modernen Arrangements, dazu noch eine Prise Miles Davis Cool Jazz Sound. Das sind die Zutaten, die auf diesem Album zum tragen kommen. Was dabei rauskommt ist ein sehr spannendes Album mit Stücken die auch mal bis zu 10 Minuten lang sein dürfen. Aufgenommen wurde das ganze in einem alten Getreidespeicher. Selten wurde alt und neu so spannend, so neu und doch so traditionell verpackt. Ein spannendes Album. Wenn Antony and the Johnsons und Miles Davis sich getroffen hätten, und sie hätten beschlossen gemeinsam ein traditionelles Folkalbum aufzunehmen, wäre vielleicht so was ähnliches wie dieses Album dabei herausgekommen.

    Gesehen
    Sleepy Hollow (IMDb)

    Übernatürliche Dramen sind ein Genre, das dank besser bezahlbarer CGI und höheren Serienbudgets in den Studios in den letzten 10 Jahren viele gute Geschichten mit riesigen Fanzahlen hervorbringen konnte. In diesem Kontext entstand bei Fox vor eineinhalb Jahren Sleepy Hollow. Die Serie folgt Ichabod Crane, gespielt von Tom Mison, der im Jahre 1781 als Spion für George Washington den sogenannten Kopflosen Reiter tötete – und zwar im selben Moment, wo dieser wiederum ihn tötete. 230 Jahre später weilt Ichabod plötzlich wieder unter den Lebenden, als jemand den Kopflosen, einer der vier Apokalyptischen Reiter, heraufbeschwört. Polizistin Abbie Mills gerät in die Geschichte, als der Reiter ihren Partner tötet und tut sich mit Ichabod zusammen, um weitere Morde und – wie könnte es anders sein – gleich auch das Ende der Welt zu verhindern.

    Die Witze rund um Crane’s veraltetes Weltbild fallen weniger flach aus als erwartet, auch wenn er sich zunächst wundert, wie eine Frau, noch dazu eine schwarze, erstens Polizistin werden und zweitens ihm auch noch Befehle geben darf. Tatsächlich wird es bei seiner Arbeit aber mit der Zeit eine seiner zentralen Stärken, dass er die Welt eben anders sieht als ein Mensch aus dem 21. Jahrhundert. Leider trösten die beiden tatkräftigen Hauptfiguren nicht über den restlichen furchtbar austauschbaren Cast (Ausnahme: John Cho) und die etwas wirren weil sehr vollgestopften Drehbücher hinweg. Sleepy Hollow ist sicherlich ein Augenschmaus für Freunde des Gruselhorrors und origineller Actionszenen, in der Königsliga der TV-Dramen spielt es aber – noch – nicht mit.

    Empfehlungen
    Sasha Siem – Most of the Boys (Homepage) (Spotify)
    Katzenjammer – Rockland (Homepage) (Spotify)
    Desiree Klaeukens – Wenn die Nacht den Tag verdeckt (Homepage) (Spotify)
    Peaky BlindersARTE

  • 106-Jochen Distelmeyer und Robert Schumann

    Neuigkeiten

    Fritz J. Raddatz gestorben.
    Mr. Spock ist ebenfalls tot.
    ESC-Vorentscheid-Teilnehmer mag nicht, oder so
    Richtigstellung bezüglich Suhrkamp und Baal.

    Gelesen

    Jochen Distelmeyer – Otis

    Das Buch ist benannt nach ‚Outis‘ (griechisch für ‚Niemand‘), eines Namens dessen sich Odysseus in Homers gleichnamigen Epos gegenüber dem Zyklopen Polyphemus bemächtigt hat, um dem sicheren Tode zu entgehen. Die Handlung spielt im Jahre 2012. Der Hauptcharakter in dem Buch heißt Tristan, ein nach der Trennung von seiner großen Liebe Saskia von Hamburg nach Berlin Geflohener. Er versucht sich dort als Buchautor und schreibt an einem Roman, der die ­Geschichte eines Programmierers erzählt, welcher wegen einer illegalen Filesharing-Plattform auf der Flucht ist. Das ganze soll obendrein mit Homers „Odyssee“ verwoben werden. Und auch für die kleinen und größeren Ereignisse im seinem echten Leben findet Tristan immer eine entsprechende Begebenheit oder Figuren in Homers Epos. Doch das Schreiben des Romans gestaltet sich als viel schwieriger als angenommen. Sei es durch Baulärm, durch seine verwöhnte Cousine Juliane, um die er sich kümmern muss, weil er sich bei deren Vater, einem Düsseldorfer Rechtsanwalt, Geld leihen musste oder durch das Treffen mit einem potentiellen Verleger, welches für ihn zum Fiasko wird. Doch nicht nur das drohende Scheitern seines Buchprojekts macht Tristan zu schaffen. Da ist auch noch die Abschiedsparty seines Kumpels Ole, der mit seiner Frau in die USA auswandert, bei der verschiedene Liebschaften Tristans aufeinandertreffen. Ein Berlin-Roman der keiner ist. Ein Roman in dem der Protagonist ständig unterwegs ist, um anzukommen, aber nie dahin kommt wo er hin will, sich immer wieder verläuft. Eben eine Odysee. In die Handlung werden immer wieder Essays geschickt eingebunden und aneinandergereiht. Haben Blumfeld-Fans auf den letzten Alben der Band das Politische vermisst, hier werden sie bedient. Haltung findet man in diesem Buch zu Genüge. Es wird aber nie anstrengend, es lässt sich leicht lesen. Ein ereignisloser Roman voller kleiner und größerer Ereignisse. Man interessiert sich für das was noch kommt, auch wenn das was dann kommt manchmal recht banal ist, so hat man trotzdem nie das Gefühl, nicht weiterlesen zu wollen. Der Roman hat eine bemerkenswerte Rhythmik. Man merkt dem Roman den Musiker Distelmeyer an. In den Feuilletons wurde der Roman eher mit großer Zurückhaltung aufgenommen -zu Unrecht. Manchmal vergessen die Feuilletons dieser Welt, dass die meisten Bücher vor allem die Menschen unterhalten sollen. Dieses Buch unterhält.

    Gehört

    Paavo Järvi (Homepage)/Deutsche Kammerphilharmonie Bremen (Homepage) – Schumann Symphonien

    Was wurde nicht schon an Schumanns Werken herumretuschiert. Mahler orchestrierte die Symphonien neu, weil sie seiner Meinung nach so schlecht instrumentiert waren, dass man sie so nicht aufführen sollte. Die Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi beweist hier nun das Gegenteil, indem sie die unbearbeiteten Originale spielen. Wenn das Orchester nämlich nicht so groß dimensioniert ist, wie es bei Mahler nunmal der Fall war, was auch der Zeit geschuldet war, dann funktioniert das alles wunderbar, und es ist überhaupt keine Schwäche in der Instrumentierung zu finden. Im Gegenteil. Eine wunderbare Transparenz kommt hier zum Vorschein, wie sie auch schon bei der Beethoven-Einspielung zu hören war. Schumann war ein Meister der Dynamik. Und genau das kann die Bremer Kammerphilharmonie umsetzen wie kaum ein zweites Orchester. Ob sanft, leise und zerbrechlich oder laut, stark und robust. Beides ist kein Problem. Weder für den Komponisten noch für die Künstler, die es aufführen. Paavo Järvi und der Kammerphilharmonie Bremen ist es gelungen, den Symphonien Schumanns den Klang zu geben, den sie brauchen. Das Detailreichtum was sie benötigen. Die Größe die sie brauchen, ohne sie künstlich aufzublasen. Zuletzt seien die einzelnen Instrumentalisten hervorgehoben. Was hier spielt darf sich mit fug und recht als grandioser Musiker bezeichnen lassen, aber erst wenn alle zusammen mit Paavo Järvi dieses Orchester bilden, wird daraus das, was es im Moment ist. Einer der zu Zeit weltbesten Klangkörper. Diese Aufnahme gehört zum Besten der Besten. Sie wird wieder einmal bei vielen als Referenz gelten. Zurecht!

    Gesehen

    Dazu: Paavo Järvi und die Deutschen Kammerphilharmonie Bremen in der Pier 2.
    Teil 1
    Teil 2

    Empfehlungen

    Maximilian HornungHaydn & Azarashvili Cello Concertos (Spotify)
    Tony Dekker – Prayer of the Woods (Homepage) (Spotify)
    Will Butler – Policy (Homepage) (Spotify)
    Tommy Wosch interviewt Sarah Kuttner

  • 105-Heimsuchung, Kante und das Mad Fat Diary

    Neuigkeiten

    Brecht, Baal und der Suhrkampverlag. 
    Blur veröffentlichen neues Album nach 12 Jahrten Pause

    Gelesen

    Jenny ErpenbeckHeimsuchung

    Jenny Erpenbeck war schon immer gut darin, die Vergangenheit neu zu verpacken und so erfahrbar zu machen, wie es nur wenige können. Aber die Rede ist nicht von römischen Imperatoren und mittelalterlichen Rittern – in “Heimsuchung” geht sie der Geschichte eines Hauses auf die Spur, in dem sie als Kind bei ihrer Großmutter viele schöne Sommer verbracht hat. Dieses Haus mit der bunten Glastür und das Grundstück am Scharmützelsee hat aber wesentlich mehr zu bieten als nostalgische Kindheitsträume. Erpenbeck schafft es, in der ihrer Figuren ganz eigenen Sprache – erzählend, folkloristisch, vielstimmig, fragmentiert und manchmal leicht entrückt -, auf die man sich eine lange Weile zunächst einfach einlassen muss, die sehr verschiedenen Bewohner und ihre Geschichten in ihrer ganze Komplexität nachdrücklich und berührend zu zeichnen.
    Dieses Buch enthält echte Menschen. Echt nicht nur, weil sie historisch belegt sind, sondern vor allem, weil man sie beim Lesen erfühlt und erfährt, nahezu wertungsfrei. Weil sie einen mitnehmen und abstoßen. “Heimsuchung” ist ein Roman, der wegen seines Realismus eigentlich nicht für Eskapismus taugen sollte und doch so weit weg entführt. Diese 200-seitige Suche nach Heimat ist nicht immer leicht – selten sogar -, doch die Reise lohnt sich.

    Gehört

    Kante – In der Zuckerfabrik (Homepage) (Spotify)

    Sieben Jahre mussten Kante Fans auf eine neue Studioeinspielung der Band warten. Neue Songs sind aber auf diesem Album nicht zu hören, sondern Songs die Kante in den letzten Jahren für Theaterproduktionen geschrieben haben. Neu ist nur, dass sie im Studio eingespielt wurden. Nichts desto trotz erkennt man die Mischung aus Rock, Jazz, Pop, Indie und Alternative sofort wieder. Extrem elaboriert kommt die Musik auf diesem Album daher. Klangcollagen sind hier genau so zu hören, wie ruhige Klavierpassagen. Das ist keine Musik zum Nebenbeihören. Dass die Mitglieder der Band ihr Handwerk beherrschen wird auf diesem Album sehr deutlich. Das was auf diese Album passiert, kann man getrost als Kunst bezeichnen. Und trotzdem entstanden tolle Songs, welche, wie schon erwähnt, aus verschiedenen Theaterproduktionen stammen. Man hört diesem Album das Theater an. Hier wird eine Atmosphäre geschaffen, die sofort ans Theater denken lässt. Kante-typisch ist auch dieses Album von Schwermütigkeit getränkt. Kante-Fans werden feiern, aber auch andere sollten diesem Album eine Chance geben. Wer Blumfeld oder Tocotronic mag, sollte sich dieses Album unbedingt anhören. Wer elaborierte, leicht verschrobene und anspruchsvolle Musik mit hübschen Texten mag, kommt an diesem Album nicht vorbei.

    Gesehen

    My Mad Fat Diary (IMDb)

    My Mad Fat Diary ist eine Serie, wie sie britischer nicht sein könnte. Es handelt sich um die Tagebücher der jugendlichen Rae Earl, die nach schweren psychischen Problemen pünktlich zu den Sommerferien aus der Klinik entlassen wurde. Sie findet, zu ihrem eigenen Erstaunen, schnell Anschluss, verliebt sich, lernt sich selbst wertzuschätzen – oder versucht es. Obwohl es ihr, trotz laufender Therapie, sehr, sehr schwer fällt. Rae ist stark übergewichtig, wobei ihre fürchterliche Mutter nicht gerade hilfreich ist, sie hat laufend Liebeskummer und fürchtet, dass sie niemals Sex haben wird. Dass sie mitten in der Pubertät steckt, macht diese Probleme noch einmal ungefähr zweihundertausend Mal schlimmer… aber wenigstens gibt es noch Oasis und ihre große Leidenschaft, die Musik. Was diese Memoiren einer pubertären, dicken, unheimlich coolen jungen Frau ausmacht, ist der trockene und schwarze Humor, die Nähe, die man zu Rae aufbauen darf, der ehrliche Umgang mit psychischen Krankheiten und der einzigartige Stil, in dem ihre Tagebuch-Kritzeleien die Szenen optisch bereichern und für weitere Lacher und Schmunzler sorgen. Ein Geheimtipp, den man auf keinen Fall verpassen sollte, wenn man britisches Fernsehen mag. Die dritte und letzte Staffel erscheint dieses Jahr!

    Empfehlungen

    NDR Bigband (Homepage) und Christof Lauer (Homepage) – Petit Fleur (Spotify)
    Deichkind – Wieso, Weshalb, Niveau (Homepage) (Spotify)

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    http://feuilletoene.de/spenden

     

  • 104-Rheinsberg, My Chet und Paare auf der Couch

    Neuigkeiten

    Grammys wurden verliehen

    Hund Spot leitet eine neue Ära von Robotern ein

    Spotify-Update: 73 Prozent geht an die Musikindustrie, 2,08 Euro bleiben bei Spotify

    Gelesen

    Kurt TucholskyRheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte (24 Seiten kurz)

    Es handelt sich um eine Erzählung vom dreitägigen Ausflug zwei Verliebter, Claire und Wolfgang, die mit dem Zug nach Rheinsberg fahren, um dem Berliner Alltag zu entfliehen. Da das Reisen eines unverheirateten Paares zu Zeiten der Weimarer Republik als ungehörig galt, geben die beiden sich während des dreitägigen Ausfluges als Ehepaar Gambetta aus. Die beiden spielen die Rolle des Ehepaares nicht ohne die Ironie zu kurz kommen zu lassen. Sie absolvieren so ziemlich das komplette Touristenprogramm Rheinsbergs der damaligen Zeit. Sie besichtigen das Schloss, machen Bootstouren auf den dort befindlichen Seen, gehen ins Kino, was damals noch „Kinematograph“ heiß und entdecken die Natur mit den Augen zweier Großstadtmenschen. Nach einem letzten Spaziergang durch den Park fahren sie mit dem Zug zurück nach Berlin. Dort angekommen, sind sie nicht mehr verheiratet, und müssen die Regeln der damaligen Welt einhalten. Von gemeinsamen Spaziergängen zu sehnsüchtigen Telefongesprächen, von redseligen Kinogängen in denen Claire andauernd Fragen stellt, zu verschwiegenen Nachmittagen. Aber immerhin auch letztlich in „das ganze Glück ihrer großen Liebe.“ Eine wunderschöne Erzählung über zwei Menschen aus einer anderen Zeit, die für eine kurze Zeit ausbrechen, nur um anzukommen. Was an dieser Erzählung noch toll ist, ist dass hier eine Sprache verwendet wird, die damals in der Literatur nicht zu finden war, die Umgangssprache. Außerdem sind die Dialoge bisweilen von ausgeprägtem Sarkasmus und Ironie durchzogen.

    Gehört

    Ricardo Del Fra (Homepage)/Airelle Besson (Homepage) – My Chet My Song (Spotify)

    Chet Baker war einer der begnadetsten Musiker, und neben Miles Davis, Louis Armstrong und Dizzy Gillespie wohl der bekannteste Jazztrompeter. Die Songs dieses Musikers sind es, die auf diesem Album interpretiert wurden. Vergangenheit meets Gegenwart, könnte man sagen. Die Songs waren auch in der Interpretation des Herrn Baker toll, aber das war eben früher. Hier haben sich Musiker aufgemacht die Songs des Herrn Baker zu spielen, zu interpretieren und Ihnen ein wenig Gegenwart einzuhauchen, ohne dabei den Respekt vor dem eigentlichen Song zu verlieren. Neben Airelle Besson sind es Pierrick Pédron, Bruno Ruder, Billy Hart und Torsten Scholz die diese Aufnahme zu dem machen was sie ist. Ein Sextett, was sich bisweilen nach viel mehr anhört. Moderner, hörbarer Jazz, der mit Songs aus der Vergangenheit zeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

    Gesehen

    Berlinale 2015 Paare – Eine Kurzfilmreihe auf der Couch auf ARTE

    10 verschiedene 3 Minütige Kurzfilmchen sind es, die hier mit jeweils verschiedenen Besetzungen gefilmt wurden. Alle sitzen samt und sonders auf einer Couch, erzählen eine kleine Geschichte, erklären sich oder rechtfertigen die eine oder andere Haltung. Äußerst unterhaltsame Serie, mit Schauspielern wie Nora Tschirner, Christian Ulmen, Katja Riemann oder Dominique Horwitz.

    Empfehlungen

    Jazzchor Freiburg (Homepage) (Spotify)

    Marius Neset (Homepage)/Trondheim Jazz Orchestra (Homepage) – Lion (Spotify)

    Radio Tatort. Der ist gemeinhin besser als der im Fernsehen.

    – U.A. das  Nordwestradio übertragt ihn einmal im Monat, womit die nächste Empfehlung ausgesprochen wäre.

    Die Bremer Philharmoniker versuchen Schubert zu spielen, und die Fadista Mísia singt danach hübsch. Wenn beide zusammen Musik machen, ist das richtig toll!

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